„Das gesamte staatliche Handeln Liechtensteins
ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet“

Sabine Monauni ist seit März 2021 Regierungschef-Stellvertreterin von Liechtenstein und zuständig für das Ministerium für Inneres, Wirtschaft und Umwelt. Im Interview erläutert sie, was den Wirtschaftsstandort Liechtenstein ausmacht und welchen Weg das Fürstentum künftig bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit verfolgt.

Simone Monauni, Regierungschef- Stellvertreterin von Liechtenstein

Frau Monauni, Liechtenstein ist vor allem für seinen spezialisierten, international vernetzten Finanzplatz bekannt. Doch das Fürstentum verfügt auch über einen hohen Industrialisierungsgrad. Was macht den Standort für Unternehmen so attraktiv?

In Liechtenstein sind fast 40 Prozent der Arbeitskräfte in der Industrie beschäftigt – eine Tatsache, die vielen Menschen nicht bewusst ist, wenn sie an unser Land denken. Ich glaube, dass die Attraktivität des Standortes auf mehreren Faktoren beruht: Dadurch, dass Liechtenstein ein kleines Land ist, sind die Entscheidungswege kurz. Es gibt keine bürokratischen Ungetüme, sondern eine kleine, aber effiziente Verwaltung. Außerdem legen wir viel Wert auf ein innovatives Unternehmensklima. Es gibt für Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung vom Staat zu erhalten – sei es bei der Förderung der Innovationstätigkeit, bei Exportbemühungen oder bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen. Außerdem existiert ein attraktives Steuer- und Sozialrecht mit entsprechend niedrigen Sozialabgaben für Unternehmen. Und die Lage ist natürlich auch entscheidend: Liechtenstein liegt zwischen der Schweiz und Österreich und somit mitten in Europa. Seit 1924 besteht eine Zollund Währungsunion mit der Schweiz, aber im Unterschied zu unserem Nachbarland ist Liechtenstein seit 1995 auch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und nimmt somit am EU-Binnenmarkt teil. Und nicht zuletzt sorgt das politische Modell Liechtensteins – eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage – für Stabilität und Rechtssicherheit.

Rund 5100 Unternehmen sind in Liechtenstein tätig – gibt es gewisse Industrie-Cluster, oder punktet das Land mit seiner breiten Diversifizierung?

In der Tat ist der Industriesektor in Liechtenstein breit diversifiziert. Zu den wichtigsten Zweigen der hiesigen Industrie zählen der Maschinen- und Gerätebau, die Automobilzuliefererindustrie, die Dentaltechnologie sowie die Lebensmittelproduktion. Daneben sind liechtensteinische Unternehmen in einer Vielzahl von teilweise sehr spezialisierten Nischen tätig und sind oftmals auch Weltmarktführer in ihrer Branche. Diese breite Diversifizierung hat sich gerade auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie als Glücksfall erwiesen. Denn so konnten wir das klassische „Klumpenrisiko“ umgehen und sind bis dato verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Wichtig ist diesbezüglich natürlich auch der Finanzplatz als stabilisierendes Element. 

Wie stellt sich die aktuelle wirtschaftliche Lage in Liechtenstein dar?

Erfreulicherweise ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt wieder auf Vorkrisenniveau. Im Jahr 2020 lag die Arbeitslosenquote bei 1,9 Prozent, im Jahr 2021 bei lediglich 1,7 Prozent. Ein Blick auf diese Zahlen verdeutlicht, dass es dem Land gut geht. Aber natürlich gibt es auch bei uns Branchen, die von der Corona-Pandemie hart getroffen wurden, darunter die Gastronomie und Hotellerie oder der Event-Bereich. Hier unterstützt der Staat mit Kurzarbeitsentschädigungen und finanziellen Hilfen. Mit Blick auf die kommenden Monate trübt sich auch bei den gut aufgestellten produzierenden Betrieben die Stimmung etwas ein: Die Lieferengpässe auf dem Weltmarkt machen sich nämlich auch bei ihnen zunehmend bemerkbar.

Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Wirtschaftsräume innovativ und Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben können?

Als kleines Land sind wir stark auf den Export angewiesen. Es liegt daher in unserem ureigenen Interesse, den Freihandel zu unterstützen und uns gegen Protektionismus starkzumachen. Von daher würde ich sagen, es braucht zum einen offene Märkte. Zum anderen kann ein innovativer und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsraum nicht ohne die entsprechenden Fachkräfte existieren. Liechtenstein bietet mehr Arbeitsplätze, als das Land Einwohner hat. Darum sind die ortsansässigen Unternehmen oft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen – etwa Grenzgänger aus Österreich, der Schweiz oder dem süddeutschen Raum. Bisher ist es gut gelungen, aus diesem Pool an Arbeitskräften die erforderlichen Spezialisten zu rekrutieren. Aber der Fachkräftemangel macht auch vor uns nicht Halt und zählt sicherlich zu den größten Herausforderungen der Zukunft. Große Hoffnung setzen wir übrigens auf das Thema Homeoffice: Hier arbeiten wir gerade gemeinsam mit den europäischen Partnern an einer Lösung, die speziell Grenzgängern mehr Flexibilität ermöglichen soll.

Im aktuellen Regierungsprogramm ist das Ziel verankert, das Land nachhaltig und verlässlich zu gestalten. Was bedeutet das konkret?

Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen – darunter soziale, ökonomische, ökologische und finanzielle Aspekte. Erstmals richtet sich das gesamte staatliche Handeln Liechtensteins an diesen unterschiedlichen Dimensionen von Nachhaltigkeit aus. Es geht nicht mehr um die reine Gewinnmaximierung, sondern darum, nachhaltig zu wirtschaften und Verantwortung für die
nachfolgenden Generationen zu übernehmen. Wie verletzlich wir in dieser globalisierten Welt geworden sind, hat uns nicht zuletzt die aktuelle Pandemie vor Augen geführt. Corona ist eine Zäsur für die Wirtschaft, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Das hat bei allen beteiligten Akteuren zu einem Umdenken geführt.

Wie können Staat und Private enger zusammenarbeiten, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?

In Liechtenstein pflegen wir bereits eine sehr enge Partnerschaft mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Künftig werden wir noch stärker als bisher öffentlich-private Partnerschaften vorantreiben. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist die Initiative „Waterfootprint Liechtenstein“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, für jeden Einwohner des Fürstentums
einem Menschen in einem Entwicklungsland den Zugang zu qualitativ gutem Wasser zu verschaffen – also die Lebensbedingungen von rund 40 000 Menschen zu verbessern.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind Themen von globaler Reichweite, die ebenso global diskutiert werden. Welchen Beitrag kann Liechtenstein dazu leisten?

Unabhängig von der Größe des Landes kann und muss jeder Staat einen Beitrag leisten. Diese Verantwortung nehmen wir an und haben beispielsweise auch das Klimaabkommen von Paris ratifiziert. Nun arbeiten wir mit Hochdruck daran, dass Liechtenstein bis 2050 das Nettonullziel bei den Emissionen erreicht. Dafür haben wir eine umfassende Energiestrategie mit über 40 Maßnahmen verabschiedet, die vom Bereich Bauen bis hin zur Förderung der Elektromobilität reicht.

Mit welchem Thema könnte sich Liechtenstein international auch als Vorbild positionieren?

Ich glaube, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit definitiv eine Vorbildrolle übernehmen können. Schon heute hat Liechtenstein als „Solarweltmeister“ eine führende Position hinsichtlich der installierten Fotovoltaik-Kapazität pro Einwohner. Und auch bei der biologischen Landwirtschaft sind wir vorne mit dabei: 40 Prozent der Agrarbetriebe in Liechtenstein sind Biobetriebe. Diesen Weg werden wir künftig konsequent weitergehen. 

Seit Jahrzenten findet das World Economic Forum in Davos und somit in unmittelbarer Nähe zu Liechtenstein statt. Welche Themen sind dieses Jahr aktuell?

Ganz zentrale Fragestellungen sind für uns: Wie schaffen wir es gemeinsam aus der Corona-Pandemie? Wie transformieren wir die Arbeitswelt nachhaltig und zukunftsgerichtet? Wie bewältigen wir den Klimawandel? Diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam mit anderen Ländern anpacken. Die Kleinheit unseres Landes gibt uns aber die Freiheit, dass wir uns losgelöst von geopolitischen Interessen mit mutigen und zum Teil auch unkonventionellen Lösungsansätzen in die Diskussion einbringen können.

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Das Interview mit Regierungschef-Stellvertreterin Sabine Monauni erschien in der Ausgabe vom 13. Januar 2022 der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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