Meine sehr verehrten Damen und Herren

Begrüssung

Herzlichen Dank für die Einladung. Es freut mich sehr, heute bei Ihnen hier – an diesem schönen Ort, dem Tegernsee - zu sein. Bayern-Liechtenstein: Eigentlich so nah, geographisch und kulturell. Viele von meinen Landsleuten kennen Bayern gut, den Fussball noch besser und sogar den aktuellen Tabellenstand von Bayern München. Doch wie viele von Ihnen waren schon mal in Liechtenstein und kennen unsere Nationalmannschaft? Nun, vielleicht vom letzten Länderspiel Deutschland-Liechtenstein im November 2021. Da haben wir Sie jedenfalls zum eindeutigen, zufriedenen Sieger gemacht.

Mein Ziel ist es heute, Sie in meiner Funktion als liechtensteinische Wirtschafts- und Umweltministerin durch mein Land zu führen. Dabei möchte ich Ihnen aufzeigen, wo wir Tabellenführer sind und wie wir es als Kleinstaat schaffen, uns in der internationalen Gemeinschaft Gehör zu verschaffen und unseren Beitrag zu leisten. So ist es uns trotz fehlender Armee gelungen, während mehr als 300 Jahren unsere Eigenständigkeit zu bewahren. Dies dank weitsichtiger Allianzen sowie gut funktionierenden nachbarschaftlichen Beziehungen. Als letztes staatsrechtliches Relikt des Heiligen Römischen Reichs nutzt das Fürstentum Liechtenstein seine Kleinheit, um Brücken zu bauen, über Grenzen hinwegzudenken und wagt innovative Ideen, die in grösseren Bürokratien kaum eine Realisierungschance haben.

Klar, unsere Einflussmöglichkeiten auf der Weltbühne sind beschränkt. Doch eines möchte ich gleich vorausschicken: Angesichts der globalen Herausforderungen sind wir hier in Europa alles kleine Länder, auch Deutschland. Um diese Herausforderungen zu meistern gibt es nur ein Mittel: Integration und Kooperation, wie es die Europäische Union seit Jahrzehnten vorlebt. Hier liegt die grosse Stärke Europas. Das müssen wir uns in Krisenzeiten einmal mehr bewusst machen.
 

Liechtenstein als souveräner und gleichberechtigter Staat in Europa

Sie hören es, meine Damen und Herren. Wir Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner sind überzeugte Europäer. Nicht nur wegen der geographischen Lage, sondern auch wegen unserer Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum EWR. Seit mehr als 25 Jahren ist Liechtenstein - zusammen mit Norwegen und Island - EWR-Mitglied und nimmt am europäischen Wirtschaftsraum teil, mit all seinen Rechten und Pflichten. Dass Liechtenstein gleichzeitig in der Zoll- und Währungsunion mit der Schweiz partizipiert, ist nicht nur dem Wohlwollen der Eidgenossen, sondern auch unseren EWR-Partnern, vor allem Deutschland und Österreich, zu verdanken.

Das liechtensteinische Integrationsmodell ist einzigartig und erfreut sich grosser Zustimmung bei der liechtensteinischen Bevölkerung und auch in Brüsseler Kreisen. Heute versteht sich Liechtenstein als Brückenbauer zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und gilt als Vorbild für andere Nicht-EU-Mitglieder in Europa, insbesondere auch andere europäische Kleinstaaten, die eine stärkere Anbindung an die EU suchen. Die Teilnahme an zwei Wirtschaftsräumen, dem EU-Binnenmarkt und der Schweizer Zollunion, hat sich für die liechtensteinische Wirtschaft als grosser Standortvorteil erwiesen und beweist, dass eine differenzierte Integration in Europa möglich ist.

Als Mitglied der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA profitiert Liechtenstein zudem von einem Netz von Freihandelsabkommen mit über 40 Ländern und Gebieten ausserhalb der EU. Als Exportland ohne grossen Heimmarkt setzt sich Liechtenstein regelmässig für den Abbau von Handelshemmnissen ein und lehnt jegliche Form von Protektionismus entschieden ab. Unsere Souveränität ist im multilateralen System verankert. Durch Beitritte zu internationalen Organisationen haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg unsere Eigenständigkeit abgesichert. Aus ureigenem Interesse ist Liechtenstein daher einer der grössten Verfechter der regelbasierten internationalen Ordnung, wo Verträge gelten und nicht das Recht des Stärkeren. Mit grosser Besorgnis schauen wir daher in die Ukraine. Dieser Krieg wirft eine Schockwelle auf die europäische Sicherheitspolitik und offenbart einmal mehr die Notwendigkeit, dass Europa strategisch autonomer werden muss. Wir brauchen ein Europa, das in der Lage ist, seine Werte wie Demokratie und Achtung der Menschenrechte zu verteidigen, gleichzeitig aber auch seinen wirtschaftlichen Erfolg, insbesondere die Errungenschaften des Binnenmarkts, nachhaltig zu sichern vermag. Deutschland als europäischer Wirtschaftsmotor trägt hier meines Erachtens eine besondere Verantwortung.
 

Wirtschaftsstandort Liechtenstein – diversifiziert und innovativ

Gemeinsamer Handel, offene Märkte und freier Wettbewerb gehören zum Erfolgsrezept der Europäischen Integration und haben auch in Liechtenstein zu Wohlstand und wirtschaftlichem Aufschwung geführt. Heute verfügt Liechtenstein über mehr Arbeitsplätze als Einwohner - mit der Folge, dass tausende Arbeitskräfte tagtäglich aus der benachbarten Region, einschliesslich aus dem süddeutschen Raum, in unser Land ein- und auspendeln. Liechtenstein lockt dabei nicht nur als attraktiver Finanzplatz, sondern vor allem auch als erfolgreicher Industriestandort. Die Wertschöpfung basiert zu 40% auf der industriellen Fertigung von Produkten in unserem Land, während die Wertschöpfung des Finanzplatzes bei rund 20% liegt.

Die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland sind besonders ausgeprägt. Liechtenstein exportierte 2020 Waren im Wert von 722 Mio. CHF nach Deutschland. Liechtensteinische Unternehmen sind mit 30 Auslandniederlassungen in Deutschland vertreten und beschäftigten dort rund 10'000 Mitarbeitende. Mit Stolz blicke ich als Wirtschaftsministerin auf unser Unternehmertum, das während Pandemiezeiten eine hohe Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft gezeigt hat. Dank hoher Diversifizierung hat sich der liechtensteinische Wirtschaftsstandort als sehr resilient während den letzten zwei Jahren erwiesen.

Auf acht Einwohner kommt in Liechtenstein ein tätiges Unternehmen; im Vergleich dazu ist das Verhältnis in Deutschland 1:24. Unsere Unternehmen sind in einer Vielzahl von teilweise sehr spezialisierten Nischen tätig und oft auch Weltmarktführer in ihrer Branche. So zum Beispiel das liechtensteinische Familienunternehmen HILTI, das seit seiner Gründung 1941 den Hauptsitz in Liechtenstein hat und für seine Bohrmaschinen weltweit bekannt ist. Oder auch die HOVAL AG, die mit ihren Heiz- und Kühlsystemen den Buckingham Palast der Queen heizt und im Vatikan für Kühlung sorgt.

Unsere «hidden champions» exportieren weltweit und sind auf verlässliche Zulieferketten angewiesen. Wenn diese, wie etwa durch die Pandemie oder den Ukraine-Konflikt, nicht mehr funktionieren, so trifft das unseren Industriestandort ebenfalls hart. Die steigenden Energiepreise und die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen zeigen uns auf einer weiteren Ebene die Notwendigkeit, unsere Wirtschaft rasch ökologisch umzubauen und auf erneuerbare Energieressourcen umzusteigen. Klar ist aber, dass Liechtenstein seine Energieversorgung nicht im Alleingang sicherstellen kann, sondern nur im Verbund mit seinen europäischen Partnern. Es wird dabei kein Weg daran vorbeiführen, dass sich Europa von der Energieabhängigkeit von Russland und anderen zwielichtigen Ländern befreit. Wir dürfen uns nicht zur Geisel autokratischer Staaten machen. Ein Gasembargo macht für mich aber nur dann Sinn, wenn wir das als Wirtschaft und Gesellschaft auch langfristig durchstehen können. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
 

Liechtensteins Beitrag für ein sicheres und solidarisches Europa

Neben der wirtschaftlichen Integration ist für Liechtenstein auch die Mitgliedschaft im Schengen-Dublin System von grosser Bedeutung. Gerade in unsicheren Zeiten zählt die Partnerschaft in Sicherheitsfragen. Liechtenstein beteiligt sich an der europäischen Polizeikooperation und am EU-Aussengrenzschutz und zeigte sich bereits während der Migrationskrise 2015/16 solidarisch mit seinen europäischen Partnern, als es um die Lastenverteilung bei Flüchtlingsaufnahmen ging. Ebenso hat meine Regierung im Rahmen der europäischen Solidaritätsplattform für die Ukraine bereits entsprechende Zusagen in Brüssel gemacht. Und auch wir in Liechtenstein nehmen tagtäglich Schutzsuchende aus der Ukraine auf.

Im Sinne unserer humanitären Tradition wollen wir unseren Beitrag zur Linderung dieser zutiefst menschlichen Katastrophe in der Ukraine und den betroffenen Anrainerstaaten leisten. Denn, das möchte ich an dieser Stelle hervorheben: Wie umfangreich die aussen- und wirtschaftspolitischen Themen, die aus dem Ukraine-Krieg folgen auch sein mögen, schlussendlich bewegen uns vor allem die einzelnen menschlichen Schicksale, die an diesem sinnlosen Krieg zugrunde gehen. Dieses Leid muss schnellstmöglich ein Ende finden. Wir müssen alles unternehmen, was in unserer Macht liegt, um zu einem dauerhaften Frieden zurückfinden, auch wenn es seinen Preis hat.

Das bedeutet auch, dass Liechtenstein die Sanktionspolitik der EU mitträgt und sämtliche Sanktionen, insbesondere die Finanzsanktionen gegen Russland und Belarus vollumfänglich übernimmt. Um es klar und deutlich zu sagen: Der liechtensteinische Finanzplatz wird keine Hand für Umgehungsgeschäfte bieten. Liechtenstein ist Teil der europäischen Werte- und Interessensgemeinschaft und wird sich an die gemeinsamen Spielregeln halten. Der liechtensteinische Finanzplatz hat die Lektionen aus seiner schwierigen Vergangenheit gelernt. Es war ein schmerzhafter Prozess. Nach mehr als 10 Jahren Weissgeldstrategie können wir aber heute wieder selbstbewusst auftreten, mit dem Anspruch auch eine Vorreiterrolle in Sachen nachhaltige Investitionen und Finanzanlagen einzunehmen. Hier sehen wir tatsächlich ein enormes Potential, und zwar nicht nur in Bezug auf die Ökologie.
 

Nachhaltiger Finanzplatz – Liechtensteinische Initiative FAST

So hat die liechtensteinische Regierung gemeinsam mit den Finanzinstituten die sogenannte FAST-Initiative ins Leben gerufen mit dem Ziel, den weltweiten Menschenhandel und moderne Sklaverei zu bekämpfen. Noch heute leben nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 40 Millionen Menschen in Sklaverei oder sklavenähnlichen Verhältnissen. Rund 10 Millionen Kinder werden zu Kinderarbeit oder Prostitution gezwungen. Diese Zahlen schockieren! Wir müssen uns bewusst machen, dass uns diese Verbrechen als Konsumentinnen und als Produzenten betreffen. Viele Güter und Rohstoffe stammen aus Ländern, in denen teilweise prekäre Arbeitsbedingungen herrschen. Alleine durch Zwangsarbeit werden jährlich rund 150 Milliarden USD generiert. Wo grosse Summen und illegale Gewinne im Spiel sind, wird Geld transferiert und investiert. Und bei diesen Transaktionen und Investitionen sind in aller Regel Finanzinstitute involviert. Genau hier setzen wir mit unserer Initiative an.

Wenn wir den globalen Finanzsektor dazu bringen, verdächtige Finanzflüsse zu unterbinden, können wir wesentlich zur Bekämpfung von Sklaverei und Ausbeutung beitragen. Wir werten es als Erfolg, dass neben dem liechtensteinischen Privatsektor bereits die Regierungen Australiens, der Niederlande und Norwegens unsere Projektpartner sind. Ich bin überzeugt, dass wir auch Deutschland dafür gewinnen können – eine Veranstaltung dazu findet Mitte Mai in Berlin statt.
 

Klimawandel – grösste Herausforderung der Menschheit

Als Umwelt- und Klimaministerin komme ich nicht umhin, auch die ökologische Nachhaltigkeit anzusprechen. Der Klimawandel stellt eine existentielle Bedrohung für die Menschheit dar. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Wenn wir so weiter machen wie bisher, werden wir das 1.5-Grad-Ziel verfehlen – mit unabsehbaren Folgen, wie Naturkatastrophen, Wasserknappheit, Hunger, Konflikte um Ressourcen und damit zusammenhängende Migrationsbewegungen.

Es liegt daher in unserem Interesse und vor allem demjenigen der nachfolgenden Generationen, dem Klimawandel entschieden entgegenzuwirken und keine Zeit zu verlieren.
 

Bedeutung der Nachbarschaftsbeziehungen, insbesondere in Zeiten des Umbruchs

Bevor ich zum Schluss komme möchte ich nochmals kurz auf die Bedeutung guter Nachbarschaftsbeziehungen eingehen. Diese haben sich gerade während der Pandemie in neuer Form gezeigt. Die zeitweilig geschlossenen Grenzen haben uns vor Augen geführt, wie mannigfaltig die grenzüberschreitenden Sachverhalte sind, wie vernetzt wir sind und wie Einschränkungen der Reisefreiheit schnell zu kleineren und grösseren Alltagsproblemen führen können. Offene Grenzen sind ein Muss für Wachstum und kulturellen Austausch – diese offen zu halten war in der Pandemie nicht einfach und wird jetzt, durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine ebenfalls eine Herausforderung. Aber die offene Grenze ist Teil unserer Identität und zeigt uns letztlich, welche grossen Vorteile die freie Mobilität in Europa hat - und welche Errungenschaft dauerhafter Friede ist.

Besonders in Krisensituationen kommt es auf robuste und freundschaftliche Nachbarschaftsbeziehungen an. Aus einem tieferen Verständnis füreinander halten diese Beziehungen auch weltpolitischen Stürmen stand. Genau dafür sorgen die vielen Begegnungen und Gespräche auf diesem Gipfel und ich freue mich auf den weiteren angeregten Austausch. Von meiner Seite kann ich Ihnen zusichern, dass sich mein Land weiterhin als verlässlicher und konstruktiver Partner in die europapolitische Diskussion einbringen wird. Wir sind stolz, Teil dieses Europas zu sein.

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
 

(Impulsrede von Regierungschef-Stellvertreterin und Wirtschaftsministerin Sabine Monauni am Ludwig-Erhard-Gipfel, 21. April 2022), am Tegernsee/Deutschland.